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Unser Inklusionsbegriff

Wir träumen und erstreben die Utopie einer Gesellschaft, in der es Differenzgerechtigkeit gibt. Das bedeutet, dass kein Mensch diskriminiert wird.

Inklusion

Wir erreichen diese Differenzgerechtigkeit durch Inklusion. Wir definieren Inklusion nach Dr. phil. Mai-Anh Boger mit Inklusion aller aktuell benachteiligten Menschen.

„Ich halte der Idee die Treue, Inklusion als Vereinigungszeichen seximus-, rassismus-, ableismus- und klassismuskritischer Theoriebildung zu verstehen.“

(Dr. phil. Mai-Anh Boger, Theorien der Inklusion – eine Übersicht)

Dimensionen von Inklusion

Die Editions Mālama arbeiten in ihrer Kinderbuchreihe representation mit drei verschiedenen Dimensionen von Inklusion:

Empowerment (E)

Empowerment, ein Begriff, der aus dem Englischen stammt und “Ermächtigung” oder “Stärkung” bedeutet, spielt eine zentrale Rolle in der Förderung von Inklusion. Diese Idee betont die Notwendigkeit, Menschen, die aufgrund von sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Faktoren benachteiligt sind, die Befähigung zu geben, ihr eigenes Leben zu gestalten und aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen.

Das Konzept des Empowerments beinhaltet verschiedene Schlüsselelemente:

1. Selbstbestimmung: Empowerment fördert die Autonomie und die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen. Menschen, die sich in ihrer Umgebung und in ihrem eigenen Leben selbstbestimmt fühlen, sind besser in der Lage, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen.

2. Partizipation: Die Möglichkeit, an sozialen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen teilzunehmen, ist entscheidend für die Stärkung benachteiligter Gruppen. Dies umfasst die Teilnahme an Entscheidungsfindungsgremien, Bildungseinrichtungen und der Arbeitswelt.

3. Bildung und Informationen: Der Zugang zu Wissen und Informationen ist ein Schlüsselfaktor beim Empowerment. Bildung ermöglicht es Menschen, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln, um bessere Entscheidungen für sich selbst und ihre Gemeinschaft zu treffen.

4. Gleichberechtigung: Empowerment zielt auf die Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichheit ab. Dies bedeutet, dass jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, Rasse, Behinderung oder anderen Merkmalen die gleichen Chancen und Rechte haben sollte.

5. Unterstützungssysteme: Empowerment erfordert oft die Schaffung von Unterstützungssystemen, sei es durch staatliche Programme, gemeinnützige Organisationen oder lokale Gemeinschaften. Diese Systeme sollen Menschen dabei helfen, ihre Potenziale zu entfalten und Barrieren zu überwinden.

Empowerment als Form der Inklusion ist von großer Bedeutung, da es Menschen ermöglicht, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen und ihre Rechte und Interessen zu vertreten. Dieser Ansatz betont die Fähigkeiten und Stärken jedes Einzelnen, anstatt sich auf Defizite oder Benachteiligungen zu konzentrieren. Durch die Stärkung von Individuen und Gemeinschaften kann Inklusion auf umfassendere und nachhaltigere Weise erreicht werden.

Normalisierung (N)

Die Idee der Normalisierung wurde erstmals von dem schwedischen Pädagogen Bengt Nirje in den 1960er Jahren entwickelt und hat seitdem weltweit Anerkennung gefunden. Der Ansatz der Normalisierung kommt aus der Pädagogik für Menschen mit Behinderungen. Der Inklusionsansatz hat zum Ziel, Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren und sicherzustellen, dass sie ein möglichst normales Leben führen können.

Dieser Ansatz kann jedoch auf alle Menschen, die aufgrund von sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Faktoren benachteiligt sind, ausgeweitet werden.

Im Kern geht es bei der Normalisierung darum, Barrieren abzubauen, die Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abhalten. Dies beinhaltet sowohl physische Barrieren, wie beispielsweise unzugängliche Gebäude, als auch soziale Barrieren, wie Vorurteile und Diskriminierung. Normalisierung fördert die Schaffung einer Umgebung, in der alle Menschen in der Lage sind, ein Leben zu führen, das dem entspricht, was in der jeweiligen Gesellschaft als “normal” angesehen wird. Normalisierung bedeutet die Einbindung aller Menschen in die Gesellschaft, unabhängig von ihren individuellen Unterschieden oder besonderen Bedürfnissen. Dieser Ansatz betont die Würde und die Rechte der betroffenen Personen und zielt darauf ab, ihre Selbstbestimmung zu stärken.

Normalisierung als Form der Inklusion kann jedoch in der Praxis eine Herausforderung darstellen. Sie erfordert nicht nur die Anpassung von Umgebungen und Dienstleistungen, sondern auch eine Veränderung in der Denkweise und Einstellung der Gesellschaft. Menschen müssen Vorurteile überwinden und sich bewusst für die Inklusion und Gleichberechtigung aller Mitglieder ihrer Gemeinschaft einsetzen.

Insgesamt kann die Normalisierung als Ansatz für die Inklusion dazu beitragen, Barrieren abzubauen und allen Menschen die Möglichkeit geben, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen, das ihren Bedürfnissen und Wünschen entspricht. Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, die die Vielfalt aller Mitglieder wertschätzt und fördert.

Dekonstruktion (D)

Die Dekonstruktion ist ein Begriff, der in den Geisteswissenschaften und insbesondere in der Philosophie des 20. Jahrhunderts stark an Bedeutung gewonnen hat. Ursprünglich von dem französischen Philosophen Jacques Derrida geprägt, zielt die Dekonstruktion darauf ab, festgefahrene Denkmuster und Hierarchien aufzubrechen, um versteckte Bedeutungen und Annahmen in Texten, Diskursen und Gesellschaftsstrukturen zu enthüllen.

In Bezug auf soziale Gerechtigkeit und Inklusion ermöglicht die Dekonstruktion, bestehende Normen und Vorurteile zu hinterfragen. Sie fordert dazu auf, die Kategorien, in die Menschen oft eingeteilt werden, wie Geschlecht, Rasse*, Religion oder sexuelle Orientierung, zu analysieren und ihre kulturellen und historischen Ursprünge offenzulegen. Durch diesen Prozess der kritischen Reflexion können Stereotypen und Vorurteile erkannt und letztendlich abgebaut werden.

Ein Beispiel für die Anwendung der Dekonstruktion in der Inklusion ist die Anerkennung von Geschlechtsvielfalt. Indem die Gesellschaft Geschlechtsidentitäten und -rollen dekonstruiert, werden Menschen ermutigt, ihre eigenen Identitäten auszudrücken, ohne sich den Zwängen traditioneller Geschlechternormen beugen zu müssen. Dies fördert die Inklusion von Transgender- und nicht-binären Personen in einer Gesellschaft, die traditionell binäre Geschlechtskonzepte verankert hat.

Die Dekonstruktion als Form der Inklusion erfordert jedoch auch kritische Selbstreflexion. Menschen müssen bereit sein, ihre eigenen Vorurteile und Privilegien zu erkennen und zu überdenken. Dieser Prozess kann schmerzhaft sein, da er oft mit einem Verlust von Macht und Privilegien einhergeht, aber er ist unerlässlich für die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft.

Insgesamt bietet die Dekonstruktion eine wichtige Perspektive auf Inklusion, indem sie dazu beiträgt, bestehende Ungerechtigkeiten und Ausschlüsse zu identifizieren und abzubauen.

Allen unseren Kinderbüchern liegen jeweils zwei dieser Dimensionen von Inklusion zu Grunde. Durch die Bildsymbole machen wir unsere Herangehensweise auf den Seiten dieser Webpage transparent.

Wir sind uns bewusst, dass diese konzeptionelle und schriftstellerische Entscheidung einen deutlichen Einfluss auf die Erzählweise eines jeden Kinderbuches hat. Wir sind uns auch bewusst, dass diese Entscheidung kritisch hinterfragt werden kann. Denn jede der drei Herangehensweisen an Inklusion hat ihre Berechtigung.

Das Trilemma der Inklusion

Die Theorie der trilemmatischen Inklusion wurde von der Pädagogin und Autorin Dr. phil. Mai-Anh Boger entwickelt. Boger ist akademische Rätin an der Universität Regensburg.

„Ein Trilemma besteht aus drei Sätzen, von denen immer nur zwei wahr sein können.“

(Dr. phil. Mai-Anh Boger, Theorien der Inklusion – eine Übersicht)

Bogers Theorie der trilemmatischen Inklusion besagt, dass jeweils zwei der drei vorgestellten Herangehensweisen miteinander vereinbar sind, gleichzeitig jedoch die dritte Herangehensweise ausschließen. Die drei Dimensionen stehe also in einem Spannungsverhältnis.

Daraus ergeben sich drei Möglichkeiten der Inklusion:

EN (Empowerment und Normalisierung)

Um eine Menschengruppe zu ermächtigen (E) und sie gleichberechtigt in die Gesellschaft zu integrieren (N), muss diese Gruppe als solche definiert und kategorisiert werden (non-D).

Beispiel: Im Buch „Luisa Luchadora“ wird die Protagonistin als ein Mensch mit einer Behinderung kategorisiert (non-D). Dadurch kann Luisa in ihrer Autonomie bestärkt werden (E) und sie kann um gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft kämpfen (N).

ND (Normalisierung und Dekonstruktion)

Um alle Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben zu lassen (N), werden Kategorisierungen in Frage gestellt und dekonstruiert (D). Ohne Kategorisierung können Menschen jedoch nicht mehr individuell ermächtigt werden (non-E).

Beispiel: Im Buch „George und der Drache“ werden klassische Rollenbilder (z.B. die Rolle der Frau, verkörpert durch die Königin) hinterfragt und umgekehrt (D). Prinz George und Ritter Raphael werden von der Bevölkerung als neues Königspaar gefeiert (N). Das Buch thematisiert deshalb jedoch nicht explizit den Kampf um Gleichberechtigung von Frauen und Menschen der LGBTIQ+ Community (non-E).

DE (Dekonstruktion und Empowerment)

Um bestehende Kategorisierungen in Frage zu stellen und zu dekonstruieren (D) und gleichzeitig eine Menschengruppe zu ermächtigen (E), muss diese Menschengruppe als abweichend von der Norm benannt und definiert werden. (non-N)

Beispiel: Das Buch „Sing, Juandalynn, sing!“ fordert den Abbau sozialer Ungleichheiten (gleiches Wahlrecht für Schwarze Menschen) und Diskriminierung (D). Juandalynn R. Abernathy erzählt in dem Buch die Geschichte Schwarzer Menschen in den USA und ermutigt Schwarze Kinder dadurch, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen und ihre Rechte und Interessen zu vertreten (E). Sie kategorisiert sich selbst bereits auf der ersten Seite des Buches als Mensch „mit brauner Hautfarbe“ (non-N).

Bei der Konzeption unserer Kinderbücher sehen wir es als unsere Aufgabe, sorgfältige Abwägungen und Entscheidungen darüber zu treffen, welche der drei Dimensionen dem Buch zu Grunde liegen und welche – bedingt durch die Theorie der trilemmatischen Inklusion – bewusst vernachlässigt werden.

* Der Begriff „Rasse“ wird hier als Bezeichnung für ein soziales Konstrukt verwendet. Die Theorie verschiedener Menschenrassen wurde von weissen Menschen ab dem 15. Jahrhundert zur Rechtfertigung des Kolonialismus missbraucht und ist überholt. Wir distanzieren uns von dem Begriff „Rasse“ als biologischem Terminus, da es keine verschiedenen Menschenrassen gibt. Als soziale Kategorisierung ist der Begriff der „Rasse“ jedoch wichtig, um beispielsweise auf die Geschichte von Menschen mit Rassismuserfahrungen aufmerksam zu machen.

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